BGH erteilt „taggenauer Berechnung“ des Schmerzensgeldes eine Absage

Dem vom Bundesgerichtshof am 15.02.2022 entschiedenen Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus, u.a. musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Kläger ist seither zu mindestens 60 Prozent in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert.

Die Vorinstanz (OLG Frankfurt a.M.) hat im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes die Methode der sog. „taggenauen Berechnung“ angewandt, wonach sich die Höhe des Schmerzensgeldes in einem ersten Rechenschritt unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind, ergibt. In – zwei - weiteren Rechenschrittne können von der zuvor „taggenau“ errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge und sodann noch eine Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers vorgenommen werden.

Für das höchste deutsche Zivilgericht sind für die Höhe des Schmerzensgeldes im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers maßgebend. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.

Der BGH hat damit die „taggenaue Berechnung“ wie sie das OLG Frankfurt a.M. vorgenommen hat, verworfen. Sie lasse wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Betracht. So bleibe unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trage der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung.

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das nunmehr erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden hat.

RA Peter Sänger